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Roland Koch sieht seinen Wechsel in die Wirtschaft gelassen

| 7 min Lesezeit

Roland Koch sieht seinen Wechsel in die Wirtschaft gelassen

geschrieben von Felix Neumann

Seit drei Jahren ist Roland Koch Vorstandsvorsitzender des Konzerns Bilfinger. Vor seiner Zeit hieß das börsennotierte Unternehmen noch Bilfinger Berger. Koch hat betrieben, dass der Name geändert wird. Jetzt gibt es nur noch Bilfinger. Koch hat aufgeräumt. Der Konzern tritt jetzt einheitlich auf. Dass mit der Neuaufstellung des Unternehmens in zwei Jahren weltweit 1 250 Stellen wegfallen, gehört dazu. Mal wieder ist Koch der Macher. Nur eben anders als bis 2010: weniger von der Öffentlichkeit beobachtet. Alles mit weniger Drama in der Außenwirkung.
Überraschend kam für die allermeisten im August 2010 Kochs Ankündigung,
nach elf Jahren im Amt des hessischen Ministerpräsidenten mit der Politik
aufzuhören und in die Wirtschaft zu wechseln. In Deutschland ist das immer
noch ein Einzelfall.
Im Gespräch mit der GKP-Region Südwest, in Verbindung mit dem Ökumenischen Presseclub und jungen Kollegen der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, in der Konzernzentrale in Mannheim wundert sich Koch Anfang Dezember genau darüber. Er wundert sich, dass sich viele Menschen über seinen beruflichen Umstieg wundern. „Die Deutschen unterschätzen, dass in diesem Land Politiker  Managementverantwortung für den Staat haben“, sagt er und greift zu einer Cola. So dramatisch, meint Koch, seien die Unterschiede nicht. „Unterschätzen und überschätzen“, das sind Vokabeln, die der streitbare Ex-Politiker häufig benutzt. Streitbar ist der CDU-Mann, der ein Buch über konservative Werte geschrieben hat und 1999 mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsangehörigkeit an die Macht kam, noch immer. Nur eben in anderem Umfeld.
Koch glaubt, dass man sich ein falsches Bild von Politikern macht. „Die Öffentlichkeit sieht immer nur den, der am Rednerpult steht oder den
Politiker in irgendeiner Massenschlägerei in einer Talkshow“, sagt er den 11 Gästen von der GKP. Doch der überwiegende Teil der Arbeit als Politiker geschehe am Schreibtisch.
Managementqualitäten sind gefragt. Wie in der Wirtschaft. Er habe in Hessen eine Jahresleistung von 28 Milliarden Euro mit 160 000 Mitarbeitern verwaltet. „Das muss so funktionieren wie es hier funktionieren muss“, stellt er Parallelen her. Aber einen Unterschied gibt es dann doch: der Druck, dem die Politiker ausgesetzt sind. Als Ministerpräsident müsse man ständig darauf achten, dass alles, „was man mit grüner Tinte auf ein weißes Blatt schreibt, später Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sein kann“. Dass er sich jetzt nicht mehr über „Nichtigkeiten“ aufregen muss, nur weil diese zwei Wochen lang politisch diskutiert werden, ist ihm ganz recht. In der Wirtschaft, so seine Erfahrung, geht es gelassener zu. Die große Dramatik ist raus. Er, der früher so gerne polterte und die große Auseinandersetzung mit dem Gegner suchte, gibt sich heute nüchtern und gelassen. Koch, der große Entdramatisierer.
Daher vermisst der 55-Jährige die Politik auch nicht. „Für mich war diese Zeit ausgesprochen spannend, ich habe sie extrem genossen, aber ich habe
sie auch lange genug gehabt.“ Ihm ist bewusst, dass sein beruflicher Werdegang – Jura-Studium, dann Anwalt, Politiker und jetzt in der Wirtschaft – eine große Ausnahme ist. Eine Chance, die nicht viele haben. Eben immer noch ein Einzelfall.
Wie er sich 2010 auf sein neues Amt vorbereitet hat? In dieser Frage schwingt ihm wieder zu viel Überschätzung der Unterschiede mit. „Das ist ja mein Vorteil, dass ich das nicht musste. Ich komme aus dieser Welt“, antwortet Koch auf Fragen der GKP. Bevor er in die Politik wechselte, hat er als Anwalt vor allem US-Konzerne in Europa beraten und Tarifverhandlungen für deutsche Industriebereiche geführt. Sicher habe man ihn bei Bilfinger an den ersten Tagen getestet: Kann er Zahlen lesen? Wie geht er mit Bilanzen um? Koch gibt aber auch zu verstehen, dass er sich im Detail gar nicht so gut auskennen muss: „In einem großen Unternehmen hat der Manager nicht die Aufgabe derer, die hier arbeiten. Ich verstehe etwas von Kraftwerksparks, aber ich weiß nicht, wie man ein Kraftwerk oder eine Brücke baut.“
Er war auf das, was er bei Bilfinger vorfand, jedenfalls eingestellt. „Sie überschätzen, wie groß der Unterschied für jemanden ist, der in Deutschland exekutiv Politik gemacht hat.“ Das sei anders als in Japan. Dort werde ein Minister von den leitenden Beamten nicht „rangelassen“. Die Verwaltung achte darauf, dass die Politiker keine Akte zu Gesicht bekommen. In den USA werde ein Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft und zurück ganz anders gesehen. Wenn er jetzt als Unternehmenslenker auf Kollegen aus Amerika treffe, seien da viele ehemalige Staatssekretäre dabei. „Da gibt es
ehemalige Leiter von oberen Bundesbehörden oder jemanden, der in seiner Jugendzeit mal das kommunale Wohnungsamt von Chicago geleitet hat“, erzählt er. Alles ganz normal. Jedes Mal wenn in den USA ein neuer Präsident gewählt wird, verlören 8 000 Leute ihren Job. Und 8 000 Leute würden neu eingestellt. Woher sollen die denn kommen, wenn nicht aus der Wirtschaft? In Deutschland stehe man immer gleich unter einem Generalverdacht. Ihm selbst sei vorgeworfen worden, er habe den Ausbau des Frankfurter Flughafens nur betrieben, damit Bilfinger jetzt den Beton zur Landesbahn liefern könne. Das kommentiert Koch nicht. Er schüttelt nur den Kopf.
Auch wenn man Koch nach dem Einfluss von Lobbyisten in Berlin und Brüssel fragt, wiegelt er ab. Auch das ist alles nicht so dramatisch. Denn deren
Einfluss werde, na klar, überschätzt. Maßlos sogar. „Lobbyismus ist nichts Illegitimes. Dass die alle da in Berlin sind, ist doch das Salz in der Suppe“, umschreibt der 55-Jährige die Situation. Bundestagsabgeordnete könnten nicht die Lebenswirklichkeit eines ganzes Landes umfassen. Guter
Lobbyismus sei eine „Menge an Information“. „Kein Ministerialbeamter weiß, was der Bankenverband an Wissen über Banken beitragen kann.“ Ohne
Lobbyisten, ist sich Koch sicher, sei die Demokratie nicht besser, sondern allenfalls diffuser. „Alle Wähler haben Interessen, deshalb kann es auch
gebündelte Interessen geben. Die heben sich auch gegenseitig auf“, urteilt er.
So unaufgeregt blickt er auch auf die Kompromisse, die die mutmaßlichen Koalitionäre in Berlin beschlossen haben. Er selbst hat viele Koalitionsverträge ausgehandelt. Darin habe er nicht immer alles für richtig gehalten. Es seien halt Kompromisse gewesen. „Und deshalb bin ich heute weniger in der Lage, mich über Kompromisse, die notwendig sind, aufzuregen.“ Natürlich sieht er den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nach wie vor kritisch. „Ich fürchte, die einzige Wirkung des Mindestlohns ist, dass eine bestimmte Zahl von Menschen, die unsere
heutigen Produktivitätsanforderungen nicht erfüllen kann, auf Dauer vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleibt.“
Wortkarg gibt sich der Wortgewaltige im GKP-Gespräch nur, wenn er zur Politik in Hessen gefragt wird. Offiziell will er dazu nichts sagen. Seinem Wunschnachfolger und Freund Volker Bouffier gibt er keine öffentlichen Ratschläge mit auf den Weg. „Ich bin mit meiner Partei nicht unzufrieden“, sagt er knapp. Es ist seine Weise, Bouffiers Kurs Richtung Schwarz-Grün zu unterstützen. Er hält ihn für richtig, sagt das aber nicht öffentlich. Schwarz-Grün ist für ihn kein großes Drama mehr. Vielleicht darf man eines ausnahmsweise mal nicht unterschätzen: Die Fähigkeit Kochs zu wissen, wann es angebracht ist, zu schweigen.